Explodierende Pottwale

von Lukas Holliger

Ein Ehepaar zieht sich ins Haus der Urgrosseltern am Stadtrand zurück, um sich zu erholen. Doch der Besuch eines ehrgeizigen Cousins und dessen Frau stellt die Ruhe sofort in Frage. Nicht nur die Vergangenheit des alten Familiensitzes, auch die Verkündigungen des Cousins über die neue Weltmacht China, stürzen den Ehemann zunehmend in eine paranoide Wahrnehmung, in der sich bloße Verdächtigungen und reale Bedrohungen nicht mehr voneinander unterscheiden lassen. Immer weniger gelingt es, eigenen Neid, Minderwertigkeitsgefühle, die Unfruchtbarkeit der Gattin und weltpolitische Entwicklungen getrennt zu denken. Die Handlung folgt radikal der subjektiven Perspektive einer einzelnen Figur. Zunehmend verzerrt sich das private Selbstwertgefühl des Ehemannes. So werden aus den Besuchern bald feindliche Verbündete der eigenen Frau. Und selbst der gutmütige Freund, der im Stau stecken geblieben ist und deshalb niemals auftritt, verwandelt sich in einen chinesischen Usurpator, der über Karriere und soziales Ansehen entscheidet. So gipfelt der erste Teil des Wochenendes in einer eingebildeten Hinrichtung. Im zweiten Teil folgt der Versuch, als jemand ganz anderer die Kontrolle über das alte Leben zurück zu erlangen. Eine rettende Metamorphose als Tagtraum. Aber schon wieder ist die Paranoia schneller.

Die wahre Begebenheit eines in Taipeh auf offener Strasse explodierten Pottwals, der zur Autopsie gefahren werden sollte, dient dem Stück als Leitmotiv für die Sprengkraft, die in gestrandeten Lebewesen schlummert.

2005 in der Endrunde für den Kleist-Förderpreis

Historie des Stücks

  • Schauspiel Leipzig Uraufführung R: W. Twiehaus 2007
  • Autor:innentheatertage Thalia Theater Hamburg Werkstattaufführung im Rahmen der «Langen Nacht der Autoren» R: S. Khodadadian 2005
  • Heidelberger Stückemarkt Szenische Lesung 2005