Vereinsamkeit

von Paul Steinmann


Zu seinem 60-Jährigen Jubiläum gibt der gemischte Chor ein Konzert. Titel desselben: "Träumereien in Dur und Moll - Lieder aus 60 Jahren". Mit einem abwechslungsreichen Programm wollen die Mitglieder des gemischten Chores ihr Publikum unterhalten und gleichzeitig ein wenig in den Erinnerungen blättern. Sie lassen die Jahre, die seit 1934 vergangen sind, musikalisch Revue passieren. Mitten im Konzert gibt es Stops. Die Zeit wird angehalten, um dem Theaterpublikum die Möglichkeit zu geben, in die Gedanken der Sängerinnen und Sänger Einblick zu erhalten. Gewisse Lieder erwecken in gewissen Chormitgliedern gewisse Erinnerungen. Gedanken aus ferner Vergangenheit tauchen ebenso auf, wie Visionen über die Zukunft und die Probleme, mit denen diese Menschen jetzt zu kämpfen haben. Es gibt Sänger, die erzählen, weshalb sie in diesem Chor singen und Sängerinnen, die erklären, weshalb sie diese wöchentlichen Proben so sehr lieben. Es gibt solche, die einen schwarzen Tag, ein schwarzes Leben hinter sich haben und solche, die nur das Helle, Schöne sehen. Der Chor, der zu Beginn des Konzertes eine Gruppe (Masse) von anonymen Menschen ist, soll im Verlauf des Stückes immer zu einer Gruppe (Masse) von individuellen Persönlichkeiten werden, deren Geschichten man glauben mag oder nicht, deren Schicksale man bedauern mag oder nicht, deren Lebensweg man mit Spannung und Interesse, mit Abscheu oder mit Lachen, mit Stirnrunzeln oder Gleichgültigkeit verfolgt.

«Die Mitglieder des Chors sind verzaubert. Nacheinander treten sie aus der festgefügten Konzertformation hervor und werden zu Individuen. Sie erzählen von ihren Träumen und Wünschen, von ihrer Vergangenheit, von ihren Sorgen und Ängsten. Ein Junge aus dem Tenor nimmt ein Mädchen aus dem Sopran an der Hand und getraut sich endlich, ihm seine Liebe zu gestehen. Das schüchterne Liebesgeständnis (das zunächst auf ein vages Echo stösst) bleibt die Ausnahme. Von der Einsamkeit inmitten der Menschen ist vor allem die Rede.»
21.10.94, Luzerner Zeitung, Hugo Bischof