15.5.2025

Anna Bertram

«Die entscheidende Frage ist nicht, ob Theater sich politisch verhalten soll, sondern wie»
IMG 1282

Einmal im Jahr wird Heidelberg zum Zentrum zeitgenössischer Dramatik – wenn sich beim Stückemarkt die aufstrebenden Stimmen des Theaters begegnen. Dieses Jahr sind in Heidelberg 18 deutschsprachige Inszenierungen eingeladen und dazu 6 Autor*innen mit ausgewählten Texten. Zu gewinnen gibt es für die Autor*innen dabei vor allem eines: Eine Öffentlichkeit. Ein Stück steht dieses Jahr besonders im Fokus und zeigt, dass Kunst nicht dann politisch ist, wenn sie eine bestimmte Botschaft vermittelt, sondern wenn sie neue Formen der Wahrnehmung erzeugt.

In den zehn Tagen des Festivals ist die politische Ausrichtung der diesjährigen Bühnenbeiträge deutlich spürbar. Die Stoffe kreisen – meist inhaltlich und direkt – um die gegenwärtigen Themen dieser Zeit. Digitalität und KI, Rechtsruck in Deutschland und Europa, Migrationsbiografien, Krieg, psychische Gesundheit, brüchige Erinnerungskulturen, Klimakrise und die Suche nach Hoffnung. Die diesjährige Heidelberger Auswahl versammelt damit Stücke, die sich zumindest im Inhalt einig sind.

Die entscheidende Frage scheint damit nicht zu sein, ob Theater sich politisch verhalten soll – sondern wie. Welche Formen, welche Sprachen können der Gegenwart etwas entgegensetzen und haben überhaupt noch etwas mit ihr zu tun? Nahezu symptomatisch für unsere Zeit wirken die eingeladenen Ästhetiken suchend und in ihrer Gesamtheit widersprüchlich – und genau darin bezeichnend für eine Gegenwart, die sich selbst nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen lässt. Manche Inszenierungen und Texte verheddern sich in der Komplexität, manche schaffen es dort raus. Vielleicht ist es Zufall – vielleicht auch Konsequenz der gegenwärtigen Sehnsucht nach Klarheit, dass ein Stück besonders die Aufmerksamkeit des Festivals auf sich zieht.

Ein Problem des Theaters?


«Asiawochen» von Yannic Han Biao Federer gewinnt gleich drei Preise – den Publikumspreis, den Autor*innenpreis sowie den SWR Kultur Hörspielpreis. Im Zentrum des Stücks steht die Lehramtsstudentin Vanessa, die über ihre deutsch-indonesische Familiengeschichte stolpert und dabei brüchige, vergessene Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte aufrollt. Die Entscheidung der Jury, die Sichtbarkeit auf dieses Stück zu konzentrieren, ist bemerkenswert. Denn «Asiawochen» ist weder formal überaus experimentell noch in der Handlungserzählung radikal neu. Im Gegenteil – das Stück ist erzählerisch klar, beinahe schlicht. Was es so besonders macht: Es fordert das Publikum und seine Rezeption heraus. Yannic Han Biao Federer stellt die Frage: Wenn schwere Stoffe sich im Theater nicht erzählen lässen, «ist es dann ein Problem des Stoffes, oder ein Problem des Theaters?» Und damit von uns allen?

Ohne ins Theoretische abzudriften ist das Stück formal reflektiert, ohne die Form selbst zu verlieren. So begegnet in einer metadramatischen Wendung eine Figur dem Autor selbst und stellt die grundlegende Frage: Wozu das alles? Ja, vielleicht liegt die Kraft des Stücks genau darin: Es reduziert und sortiert eine längst ausgeuferte Komplexität gegenwärtiger Diskurse; hier allen voran Denkweisen des (Post)kolonialismus, die in eine klare Verbindung mit Faschismus gesetzt werden. Da ist Vanessa, da ist ihr Vater, Vanessas Freund Max ist anwesend und Vanessas Mutter als Figur ist nur so dreiviertel anwesend. Die Erzählung schrammt an der Grenze zu einem didaktischen Ton - es ist die Aufarbeitung schmerzhafter Geschichten, in denen kollektive Verantwortung versagt hat. Für diejenigen, die beim Wort „Didaktik“ den Impuls verspüren aufzuschreien, gibt es genug Ambivalenz. Denn das Stück kippt nie ins Belehrende. Die Figuren selbst sind komplex und widersprüchlich. Max etwa, der den letzten Schritt zur Selbstkritik einfach nicht schafft. Er ist nur ein Beispiel für die Figuren, die in sich selbst Konfliktlinien tragen und sie für uns aushandeln.

Künstlerische Zugänglichkeit und diskursive Tiefe

Die entschiedene Setzung des Publikums und der Jury auf «Asiawochen» ist eine Aussage: Radikalität im Theater muss kein Selbstzweck sein, um avanciert zu sein. Eine zugängliche ästhetische Sprache und Erzählweise, die sich theatraler Mittel bedient, könnte das sein, was den öffentlichen Diskurs aufgreift und weiterbringt. Koloniale Erinnerung, Bildungsversagen, familiäres Schweigen – die Dramaturgie ist nicht plakativ, sondern tastend, bohrend, präzise. Es zeigt, dass Zugänglichkeit, Ernsthaftigkeit und diskursive Tiefe nicht länger im Gegensatz zu künstlerischem Anspruch stehen. Vielmehr können diese Mittel als eine strategische Vereinfachung von komplexen Themen betrachtet werden, die einem Publikum den Zugang zu schwierigen Themen ermöglicht, ohne sie zu überfordern oder zu sehr zu ärgern. Ein bewusst gesetzter Ernst, eine reflektierte Narration und ambivalente Figurenarbeit, die Wirkung zeigen - das macht schliesslich auch Spass beim Zusehen. 

Die vielen weiteren Stücke, Inszenierungen und Diskursformate, Begegnungen und Gespräche greifen am 42. Heidelberger Stückemarkt immer wieder die Grundfrage nach der Vermittelbarkeit heutiger Spannungsfelder auf. Möchte man daraus eine These aufstellen, so könnte diese lauten: Die dringende Frage dieser Zeit ist diejenige, wie wir im Theater eine wirkliche Öffentlichkeit herstellen. Dass dabei das Publikum und seine Rezeption selbst in den Vordergrund rücken, ist die Schlussfolgerung. Und zwar im Theater selbst sowie im Gespräch darüber. Nicht jeder Konflikt muss sofort mit einer moralischen Lösung beantwortet werden - Ästhetik kann aber Deutungsräume für uns alle öffnen und die Widersprüche darin erträglicher machen.

Eine Pflanze im Grün & Gold in Heidelberg