Gletschertext

von Philippe Heule

8 Milliarden buntbekleidete Menschen tummeln sich auf einem Gletscher. Als "dahinsiechendes Tier" ist er Mahnmal des Klimawandels und Vergnügungskulisse zugleich: eine im Verschwinden begriffene "Langzeitperformance". Da steigt eine:r auf, dort rutscht jemand ab, da rappelt sich eine:r hoch, dort hängt eine:r in den Seilen: Alles fließt und kippt hier ineinander: die Szenerie in die Situation, die Regieanweisung in die Figuren, das Ich ins Wir, das Wir ins Du. Nur unter die romantische Vorstellung vom ewigen Eis zieht der Text einen klaren Schlussstrich. Sie ist endgültig Schnee von gestern, dem Fortschrittswahn geopfert.

Mit surrealem Humor rückt Philippe Heule mit seinem Gletschertext dem dünner werdenden Eis der Zivilisation auf den Leib:

in die Eisspalte zu stürzen und für die Nachwelt tiefgefroren zu werden ist kein anzustrebendes Ziel mehr denn

wenn du da liegst als

aufgetauter Kadaver wird niemand mehr da sein um

dich zu entdecken obwohl

kaum Zeit vergangen ist

niemand wird die zerfetzte Funktionskleidung anfassen wie ein rohes Ei und dein Gebiss wie einen Goldschatz und

niemand wird die Kunstofffasern unter das Mikroskop halten um dein Alter zu bestimmen

du wirst kein Star mehr sein unter den Leichen du wirst tot sein und vergessen

dein Absturz schafft keine Bedeutung mehr und

allein vom Reden über die Gletscher werden sie auch nicht wieder auferstehen (rua.)