DIE GASTFREMDEN

von Ivna Žic

Es gibt eine alte alte Geschichte, die sagt, dass die Menschen, die damals auf Reisen gingen — nur auf einem Pferd, viel langsamer, als wir je reisen — sich nach Ankunft flach auf den Boden legten und so, liegend, auf ihre Seele warteten. Weil diese immer mehr Zeit brauchte, um nachzukommen.

Jetzt stellen Sie sich mal so ein richtiges Theaterstück vor. So ein ganz klassisches, Mutter Vater Kind, mit Küchentisch. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, was unter dem Küchentisch liegt, oder darüber, oder um ihn herum. Wo kommt die Mutter her? Was hat der Vater für Sorgen? Welche Bedürfnisse hat das Kind? DIE GASTFREMDEN erzählt von einer Familie, die nicht dem gängigen Bild einer Schweizer Familie entspricht, aber – so bezeugt es der Text, in jeder Szene, jedem Satz, mal leise, mal laut, mal wütend, mal ohnmächtig – doch längst oder schon immer zum klassischen Repertoire gehört.

Erzählt wird von Eltern, die mit ihren Kindern vor Jahrzehnten in die Schweiz migrierten und die jetzt dahin zurückgehen von wo sie einst aufgebrochen sind. Klar ist, in jede:n haben sich die Zumutungen des Leistungsspiels Integration unterschiedlich eingeprägt. Und während die Familienwohnung, Rückzugsort und Hort der Eltern- bzw. Grossmuttersprache, sich auflöst – Schränke werden zerlegt, Dinge in Kisten eingepackt, umverteilt, aussortiert – , wird jeder Gegenstand, jeder Geruch, jedes Staubkorn zum Erinnerungsboten geteilter Vergangenheit. Die Perspektiven wechseln von den Eltern zu den Kindern, von Innen nach Aussen, von Hier nach Dort und die Ambiguität der Begriffe Heimat, Herkunft und Migration wird sichtbar.

Historie des Stücks

  • Theater St. Gallen Regie: Christina Rast 2020