23.2.2023

Alice Müller

Moodboard: Ohne Mond
A Lice Mueller Bild2
Alice Mueller Schreibtisch

10 Dinge:

1 Foto/Screenshot vom Schreibtisch
3 Fotos aus der DRAMENPROZESSOR-Zeit
3 Songs aus dem Soundtrack dieser Tage
und 3 Antworten.

Dies ergibt Alice Müllers Moodboard rund um ihr Stück Ohne Mond.

Liebe Alice. Vor dem Dramenprozessor hast du das Schauspieldiplom gemacht, wie hilft das Schauspielen deiner Arbeit als Autorin und umgekehrt?

Um erst mal abstrakt zu beginnen: Eigentlich habe ich die beiden Tätigkeiten nicht als grundlegend anders empfunden. Ausgangspunkt für beides ist die „Kreativität“ oder Erleben, etwas zu erschaffen, was vorher noch nicht da war. Aber die Tätigkeiten unterscheiden sich sehr in der Vorgehensweise. Schauspielen, das heisst, proben und aufführen, sind soziale Vorgänge. Schreiben (ausser im Moment der Lesung) ist asozial. In meinen besten Momenten haben sich beide Tätigkeiten ergänzt, d.h. ich konnte die Vorlage entwerfen und dann in Proben und Lesungen auf den Prüfstand stellen, bzw. mit Leben füllen. Zu anderen Momenten blieb das weitgehend getrennt, auch wenn ich als Person in den Tätigkeiten natürlich beeinflusst war. Und natürlich gibt es auch ganz praktisches Wissen, von dem ich aufgrund meiner Schauspielausbildung profitiert habe, das so genannte Handwerkszeug. (Um ein Beispiel zu geben: In der Schauspielschule hat mich einmal ein Lehrer ziemlich harsch gefragt, was ich da eigentlich gerade versuche zu spielen. Ich habe gesagt „Zweifel“. Daraufhin musste ich lernen, dass dieser sehr menschliche Vorgang nicht bühnentauglich ist. Zweifel kann man auf der Bühne nur darstellen, in dem man erst den einen Zustand spielt und dann sein Gegenteil. Und von dieser Art Handwerkszeug gibt es natürlich noch viel mehr.)

Die Figuren in Ohne Mond sind absoluter Willkür ausgesetzt und je länger je mehr auch das Publikum, welches sich durchs Mitmachen im Stück strafbar macht. Was erhoffst du dir von dieser Vermischung von Realität und theatralem Raum?

Zur Zeit des Dramenprozessors habe ich meine Umgebung als sehr willkürlich empfunden. So etwa, dass jede Gesellschaft, jede soziale Übereinkunft, letztlich willkürlich ist, und gekündigt werden kann, sobald sich die äußeren Umstände ändern. Die Einbeziehung des Publikums habe ich eingeführt, weil ich immer gefragt wurde, wie das, was ich schreibe, denn mit der Gesellschaft zusammenhängt, die eine enorme Autonomie erlebt, wo eher die Vereinzelung das Thema ist. Gesellschaft ist immer auch ein Sozialexperiment und das wollte ich auf diese Weise spürbar machen. Allerdings sehe ich die Tatsache, dass sich das Publikum schuldig macht, aus heutiger Perspektive etwas kritisch. Erst einmal wird das Publikum wohl nicht mitmachen, und wenn doch, riechen Anklage und Datenerfassung zu sehr nach Schulbetrieb als nach wirklichem juristischem Vorgehen. (Mal abgesehen davon muss ich auch meinem jüngeren Selbst sagen, dass es ungünstig ist sein Publikum zu kritisieren.)

"Man muss sich eine Wiese im Novemberregen beim Bieler See vorstellen, auf der ich durchnässt joggen gehe. Leider habe ich das nicht verewigt."

Alice Mueller Bild3

Am Ende erkennt Viktor seine Schuld an und will verhaftet/bestraft werden. Die Polizistin antwortet, Vergessen Sie es. Das ist der letzte Satz deines Stücks. Was heisst das, wenn niemand Verantwortung übernimmt/übernehmen muss?


Auf diese Frage sind sicher viele Antworten möglich, ethisch, soziologisch und so weiter. Ich kann nur gefühlsmäßig darauf antworten. Ich glaube, es gibt ein Heilsversprechen in unserem konsumorientierten Zusammenleben, dass man keine Verantwortung für sein Verhalten übernehmen muss. Oder vielleicht eine Missverhältnis, dass wir Verantwortung z.B. für das Klima haben, aber nicht dafür, wie wir miteinander umgehen. Es ist psychologisch anerkannt, dass Menschen in den meisten Umgebungen gesünder leben, wenn sie sich selbst so wahrnehmen, dass sie auf ihre Umwelt Einfluss haben. Damit ist die Absolution von der sozialen Verbindlichkeit, die mithilfe des Internets möglich ist, vielleicht etwas, was am eigentlichen Bedürfnis des Einzelnen vorbeigeht. In meinem Stück ist es die endgültige Absage daran, dass das eigene Erleben Bedeutung hat. Ziemlich pessimistisch, würde ich aus heutiger Sicht sagen.

Stück