16.9.2022

Marianne Freidig

Moodboard: Mañana
Performance Running Watershilds Kunsthalle Bern2000jpg

Videostill der Performance «Running Watershields».

10 Dinge:

1 Foto/Screenshot vom Schreibtisch
3 Fotos aus der DRAMENPROZESSOR-Zeit
3 Songs aus dem Soundtrack dieser Tage
und 3 Antworten.

Dies bildet das Moodboard von Marianne Freidig rund um ihr Stück Mañana.

Du warst Teil der ersten Generation des Dramenprozessors. Wie sehr hat diese Anfangsenergie euch Teilnehmer:innen und euer Schreiben beflügelt?

Es war ein neues Projekt. Energie war da, richtig viel. Es war wohl für fast alle das Sprungbrett. Kaum war man da, öffneten sich einem die Tore zur Welt des Theaters einen Spalt weit. Ich kam aus der Kunst- und Literaturszene, hatte vorher einen ziemlich absurden Einakter geschrieben über einen Galeristen, der den Künstler:innen Bilder hinterher wirft. Das war, was ich dramatisch zu bieten hatte. Ja, und dann ging es schnell. Kaum hatten die ersten Treffen der Autor:innen mit der damaligen Leitungscrew des Dramenprozessors Peter Kelting und Eric Altdorfer stattgefunden, wurden quasi im Geiste der Autorenwerkstätten des englischen Royal Court Theaters, Proben mit Schauspieler:innen und Regisseur:innen angesetzt. Geprobt wurde mit einzelnen Szenen, die oft erst angeschrieben oder in einer rohen Version vorlagen, das gab mir als Autorin die Möglichkeit auszuloten, was wie wirkte, usw. Das war fantastisch und für mich das beste am Dramenprozessor. Es war im Grunde genommen ein simulierter Theateralltag. Ich erlebte das Theater von innen, war ein Teil von ihm, fühlte mich auch in dieser Szene rasch zuhause, zuerst in der Schweiz, dann in Deutschland. Da war viel Energie da. Ich erinnere mich an eine hitzige Diskussionen im Kreise meiner Kolleg:innen während einem Workshop. Mein Beitrag waren zwei, drei Seiten einer Videotranskription. Das Video hatte der Schauspieler Sigi Terpoorten, der bei diesen Vorproben oder Try Outs oft dabei war, aufgenommen und mir irgendwann gezeigt. Ich war von diesem fulminanten familiären Endspiel, das sich in einem Wohnzimmer oder einer Küche abspielte, so genau weiss ich das nicht mehr, in dem den Mitspielenden in Sekunden alle Teppiche unter den Füssen weggezogen wurden, überrascht und entsetzt, gleichzeitig erheiterte mich die ungeheure Komik. Da war viel Alltagsenergie drin. Dieser kurze, auf Video gebannte Moment war das zündende Moment für das Stück Manana, eine Familienreparatur in vier Tagen.

Mich interessierte beim Schreiben der Klang, die Musik, ich experimentierte mit Tempowechseln etc. Peter Kelting stellte wichtige Fragen, beriet bei der Suche nach der Form. Ein paar Monate später war das Stück geschrieben. Mein Vertrauen in die Regisseurin Anina La Roche war gross. Ich wusste: Die letzte Entscheidung zum Text würde bei mir als Autorin liegen. Wir waren uns grossmehrheitlich einig, meine ich mich zu erinnern. Ich bemerkte bei den Proben, dass es für Schauspieler:innen schwierig war, meine Witzszenen x-mal zu proben und würzig frisch zu spielen, als hörten sie die Witze zum ersten Mal.

Das Stück wurde wild und gut, finde ich auch heute noch. Als Manana als Dramenprozessorproduktion ausgewählt und in der Inszenierung von Anina La Roche gespielt wurde, verirrte sich irgendwann einmal - das Stück war an der Winkelwiese verlängert worden - ein Herr namens Stefan Schmidtke, der für die Wiener Festwochen auf der Suche nach neuem Stoff um die Welt reiste, in das Zürcher Theater-Kellergewölbe. Kurz darauf war das Stück am Schauspiel Stuttgart zu sehen. Dann kamen Angebote von Verlagen und alles nahm seinen Lauf.

Wir Absolvent:innen profitierten davon, dass der Dramenprozessor in den Theaterkreisen rasch eine gewisse Neugierde hervorgerufen hatte. Bald genossen wir einen guten Ruf, die Schweizer Dramatiker:innen seien interessant, hiess es. Am Schauspiel Stuttgart wurde ich auf einem Podium gefragt, was denn die Schweizer:innen beim Schreiben anders machten als die Deutschen? Ich wusste es nicht.


Wieso hast du diese spezielle Form für dein Stück gewählt?

Skizziert wird eine Familiensituation im chronologischen Ablauf der Ereignisse, Ausgangspunkt bildet die Beerdigung des Vaters. Es ist der äussere formale Rahmen, in dem die Figuren versuchen sich zu verständigen. Um der Einsamkeit zu entgehen, geben sie alles daran, die Illusion Familie in vier Tagen wiederherzustellen, was in einer aus den Fugen geratenen, sich zersetzenden Welt nicht gelingt.

Portrait Marianne Freidig2001

Du bist Theaterautorin und Mutter. 

Gerade in Theaterberufen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein weiterhin ungelöstes Problem - wegen der strukturellen Bedingungen der Theaterhäuser oder auch der Arbeitsmentalität bestimmter Freier Gruppen.

Die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vervielfachen sich am Theater. Natürlich wird es hie und da auf einem Podium zum Thema oder in einem Artikel. Wer festangestellt ist, hat einigermassen Glück gehabt, gerade in den Zeiten von Corona. Besonders schwierig ist es für freie Mitarbeitende wie die Autor:innen, wenn sie nicht gerade für ein Jahr als Hausautor:innen angestellt sind.

Ich habe mich darüber oft wahnsinnig geärgert, ich habe geweint, ich habe deswegen Beziehungen zerbrechen sehen, total begabte Leute haben sich zurückgezogen aus dem Theater, weil es oft nicht gereicht hat, das Geld für eine Familie, trotz irrsinnig viel Arbeit, trotz grosser Anstrengung oder weil sie die Unsicherheit verrückt gemacht hat, nie zu wissen, wie es weiter geht in drei Monaten oder so.

Was müsste sich verändern?

Vieles, wirklich vieles - es klingt banal, aber wir Eltern brauchen höhere Honorare bei Stückaufträgen. Schreibzeit muss ich mir als Theaterautor:in resp. als Familie leisten können, da fängt es an.