27.8.2024

Marie Duchêne, Marie Bues

«Die Stücke, die ich mache, sind meist politische Texte.»
Marie Bues

© Dominique Brewing

Nach dem Studium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart arbeitete Marie Bues einige Jahre als Schauspielerin, bevor sie als Regieassistentin ans Theater Basel wechselte. Seitdem ist sie freie Regisseurin und seit der Spielzeit 23/24 Teil der Künstlerischen Leitung am Schauspielhaus Wien.


2019 brachte sie Julia Haennis Erfolgsstück «frau verschwindet (versionen)» an den Bühnen Bern zur Uraufführung und inszeniert nun «frau heilt (party)» für die Spielzeiteröffnung am Theater Winkelwiese am 28. September 2024.


Das Gespräch mit Marie Bues führte Marie Duchêne, die Projektleiterin des ZENTRUM FÜR DRAMATIK, während der Endproben am Theater Winkelwiese.

Marie Duchêne: Liebe Marie, du hast eigentlich Schauspiel studiert. Wie bist du zur Regie gekommen?

Marie Bues: Genau, ich habe Schauspiel studiert, hatte aber eigentlich immer schon ein Interesse an Regie und Literatur. An der Schauspielschule meinte ein Dramaturgie-Professor zu mir: «Ich glaube Sie sind Regisseurin, aber Sie sollten die Ausbildung zu Ende machen.» In den Semesterferien habe ich also parallel ein paar Regieassistenzen gemacht, dadurch hat sich mein Blick schon ein bisschen verändert. Nach der Schauspielschule war ich erstmal zwei Jahre an der Württembergischen Landesbühne Esslingen engagiert, das ist natürlich auch ein hartes Pflaster für junge Schauspieler*innen, man muss viel reisen, sitzt ständig im Bus. Der harte Einstieg war für mich aber letztendlich ganz gut, weil ich gemerkt habe, dass ich mit der Realität des Schauspielerinnenberufs Probleme habe. Das habe ich zum Anlass genommen, das mit der Regieassistenz nochmal «richtig» an einem Haus zu machen und habe mich am Theater Basel beworben. Das hat geklappt und nach einem Jahr bekam ich die Chance, eine eigene Inszenierung zu machen. Ich habe mir «Bambiland» von Elfriede Jelinek ausgesucht und bin Learning-by-Doing in den Regieberuf reingeraten. Ohne Ausbildung und Connections war das nicht immer leicht, aber so konnte ich meinen eigenen Inszenierungsstil finden, der nicht so sehr von Institutionen geprägt wurde.

Hast du das Gefühl, es ist für deine heutige Arbeit von Vorteil, dass du die Position der Schauspieler*innen selbst erlebt hast?

Ja, das würde ich schon sagen. Ich denke sehr von schauspielerische Seite aus und begreife die Spielenden als Kollektiv. Ich suche einen gemeinschaftlichen Prozess, in dem ich immer versuche auch möglichst viel zuzuhören und die Perspektiven aller Beteiligten in die Regieentscheidungen einfliessen zu lassen.

Wenn man sich deine Arbeit anschaut, fällt auf, dass du vor allem zeitgenössische Dramatik auf die Bühne bringst. Was reizt dich daran?

Das fing bei Jelinek an und hat mir direkt zugesagt. Ich habe gemerkt, dass ich mit zeitgenössischen Stücken eine andere Freiheit habe, Bilder zu erfinden; sie passen zu dem Stil, den ich gern auf der Bühne sehe. Mir gefällt auch die postdramatische Bewegung, weg von einem Theaterbegriff, der illusionistisch und psychologisch orientiert ist und sehr narrativ funktioniert. Die Stücke, die ich mache, sind meist politische Texte, die nicht unbedingt an Figuren oder Narrationen gebunden sind. Sie geben eher einen Eindruck über den Zustand einer Gesellschaft, wollen Gegenwart unmittelbar abbilden und aktuell umstrittene Diskurse aufgreifen.

Also muss ein Text vor allem gegenwärtig sein, damit du Lust hast, ihn zu inszenieren?

Genau, und mich interessieren Texte, die sprachlich experimentieren und Überlegungen anstellen, wie Gemeinschaft und Kommunikation funktionieren oder wie ein gesellschaftlicher Zusammenhalt gegen Spaltung und Rechtsruck neue Möglichkeiten finden kann.

Worauf muss man achten, wenn man Gegenwartsdramatik inszeniert? Was muss man anders machen als bei «klassischem» Material?

Ich habe lange keinen klassischen Text mehr inszeniert, wenn, dann in Überschreibung heutiger Autor*innen. Regisseur*innen von klassischen Texten müssen vor allem Übersetzungen finden, um damalige Zustände auf heute zu übertragen. Ich muss den Text sehr genau lesen und die Diskurse kennen, mir überlegen, wie ich den Text in seiner Message stärken kann. Deshalb versuche ich, schon möglichst früh am Prozess beteiligt zu sein, frühe Textfassungen zu lesen. Das ist sehr schön, weil ich dann schon ein Gefühl für den Text bekommen und mir über eine mögliche Besetzung Gedanken machen kann. Wer kann das spielen? Welche Ästhetik brauche ich? Welche zusätzlichen Perspektiven sollten auf diesen Stoff schauen?

Klingt, als würdest du eng mit den jeweiligen Autor*innen zusammenarbeiten. War das mit Julia Haenni für «frau heilt» ähnlich?

Es war natürlich schön, dass Julia Haenni und ich bereits gemeinsam «frau verschwindet» gemacht haben; Fadrina Arpagaus ist auch wieder dabei. Eine glückliche Zusammenführung von uns dreien. Florentine Krafft hat bei «frau verschwindet» auch schon mitgespielt und kann sicher aus ihren Erfahrungen zehren. Durch die Vorarbeit herrscht da auch schon ein gewisses Vertrauensverhältnis, «frau verschwindet» war für uns alle eine tolle Produktion. Wir kennen sehr früh die Texte von Julia und stehen in einem engen Austausch miteinander. Und ich kann jetzt natürlich als Regisseurin an Julias Ideen anknüpfen, weil ich verstehe: Was ist in «frau verschwindet» schon da gewesen, was sind neue Fragen? Das geniesse ich gerade sehr. Mit Julia bleiben wir während der Proben auch über den Text ihm Gespräch.

Das ist sicher der Vorteil von zeitgenössischen Autor*innen (lacht). Für die Zuschauer*innen, die «frau verschwindet» auf der Bühne gesehen haben: Wird es einen Wiedererkennungseffekt geben - also etwas Serielles? Oder hast du etwas ganz Neues geplant?

Ich zitiere schon ein paar Kleinigkeiten und manche Elemente wiederholen sich: die Dreierkonstellation der Frauen, die Art der Dialogführung, der Humor. Wer «frau verschwindet» gesehen hat, kann da anknüpfen, aber man kann «frau heilt» total unabhängig von den beiden Vorgängerstücken sehen. Und dadurch, dass es an einem anderen Theater unter anderen Bedingungen spielen wird, wird es schon eine komplett neue Produktion.

In «frau heilt» geht es um all die Hindernisse, die weiblich gelesenen Personen in unserer patriarchalen Gesellschaft in den Weg gelegt werden, um all die Situationen in denen man sie nicht ernst nimmt, um die diskriminierenden Theorien, die männliche Denker um die Natur des weiblichen Geschlechts gesponnen haben. Ich finde den Inhalt sehr feministisch und habe mich gefragt: Gibt es so etwas wie feministische Regie?

Das ist eine gute Frage… Ich glaube, dass es da im Theater gerade ein grosses Umlernen gibt. Meine Generation ist noch sehr geprägt durch alte hierarchische Strukturen, die sehr von männlichen «Genies» und dem Patriarchat ausgingen. Die gibt es natürlich immer noch, aber es ändert sich gerade einiges. Eine «aware», im weitesten Sinne feministische Regie hat ein Bewusstsein für klassistische, rassitische, sexistische oder missbräuchliche Verhaltensweisen. Dieses Bewusstsein braucht es in den Arbeitsprozessen, aber auch für die Darstellung weiblicher Figuren, non-binärer Figuren, aber auch von Männlichkeit.

Wo wir über die Darstellung von weiblichen Figuren reden: In «frau heilt» sprechen drei Frauen über ihr alltägliches Leid in einer patriarchalen Gesellschaft. Wie inszeniert man Frauen auf einer Bühne, die ohnehin schon darunter leiden, überall performen zu müssen?

Bei Julia ist das geschickt gemacht, sie verhandelt einerseits die Theaterebene, dass man als Frau vor einem Publikum steht und wieder ansprechen muss, dass man im Feminismus immer noch nicht da ist, wo man hinwill. Dass man immer noch Spielverderberin sein muss. Die Frauen sind müde, sie wollen nicht mehr performen. Es geht um den Diskurs und aber auch um den nächsten Theaterabend und die Anstrengung, die damit verbunden ist.

Im Stück sprechen die weiblichen Figuren F, H und S miteinander. Sie sind quasi namenlos, und scheinen für etwas Kollektives zu stehen, verbunden durch ihre Leidensgeschichte. Mit welchen Bildern stellt man diesen kollektiven Schmerz dar?

Bei uns geht es über eine Körperlichkeit, die Figuren fangen immer wieder an zu tanzen. Für sie ist das Tanzen einerseits Ablenkung von ihren Anstrengungen, es steht aber auch dafür, auf der Party weiter mittanzen, weitermachen zu müssen. Nach jeder Tanzsequenz kommt ein Bruch. In der Zusammenarbeit mit der Choreografin Bahar Meric haben wir über das Tanzen Bilder für die kollektive Erschöpfung der Frauen gefunden. Sie hat uns Bewegungsabläufe gezeigt, mit denen man eine Solidarität zwischen den Spielerinnen ausdrücken kann, aber auch Bilder für Schmerz findet. Teilweise zitieren wir auch Bilder, z.B. für die Darstellung der ersten Diskriminierungsgeschichte - dem Sündenfall - haben wir uns von klassischen Paradies-Bildern von Eva inspirieren lassen.

Im Motto von «frau heilt» steht ein Zitat von Emilia Roig: «Frauen sind kollektiv vom Patriarchat traumatisiert und diese Traumata werden von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn Frauen […] tiefgehend an ihrer Heilung arbeiten, individuell und kollektiv, […] sind sie weniger anfällig für das Opium des Patriarchats - sie brauchen es nicht mehr.» – wie kann frau an ihrer Heilung arbeiten?

Ich finde das Zitat total schön, weil es das auf eine Metaebene bringt: Frauen müssen füreinander Solidarität entwickeln, um zu heilen. Das zu zeigen, ist ja auch irgendwie das Ziel des Stücks. Es geht nur zusammen und nicht mit einem oldschool White-Feminism. «Heilung» ist nicht als Self-Care gemeint.

Ich bin sehr gespannt auf das Stück! Danke für deine Antworten, das war ein sehr spannendes Gespräch.

Danke dir!