Beginnen wir am Anfang, liebe Viola. Heute müssen sich Autor*innen mit einer konkreten Stückidee für den DRAMENPROZESSOR bewerben. Wie war das damals bei euch?
Erik Altdorfer und Stephan Roppel (die den DRAMENPROZESSOR damals leiteten, Anm. d. Red.) wollten nicht, dass es bereits eine konkrete Idee gibt. Wir sollten drei Gegenstände mitbringen, die uns interessierten, faszinierten – aber ich weiss nicht mehr, was ich mitgebracht hatte.
Ich hatte die Figuren, die Anordnung A-B-C – Arn 40, Blunn 70 und Calla 20, sehr typisierte Namen – und diesen abgelegenen Bauernhof, wo das Stück spielt. Ich musste nur noch herausfinden, wie das alles miteinander zusammenhängt. Das Thema Missbrauch war bei mir schon lange akut und tauchte auch in anderen Werken auf. Die Gewalttätigkeit war von Anfang an drin.
In einer Kritik eurer Präsentation im Juni 2005 schreibt ein Journalist über dein Stück: «Noch etwas gefeilt dagegen werden sollte an der letzten Arbeit des Abends, Maria C. von Viola Rohner. Dieser Tragödie über die Genealogie der Gewalt haftet allzu sehr die Eierschale der Idee an.» Erinnerst du dich an weitere Reaktionen?
Stephan und Erik fanden das Stück super, was mich gefreut hat. Und auch dem Verlagsvertreter der damals das Interview mit mir geführt hat, hat’s gefallen. Ich war im Gespräch mit mehreren Regisseuren, die das Stück inszenieren wollten, aber die Theater meinten alle, es sei zu brutal, zu dunkel.
Später wollte ein österreichischer Regisseur das Stück unbedingt auf die Bühne bringen, weil es seiner Meinung nach gut nach Österreich passe – auch in Zusammenhang mit der Fritzl Affäre. Aber dort passierte genau dasselbe: Er hat so viele Theater angefragt und die Begründung blieb dieselbe – zu brutal.
«Das Publikum erträgt das nicht, das verkauft sich nicht…» Eines dieser diffusen Argumente, die die bestehenden Strukturen bestätigen.
Interessanterweise wurde ich nach der Präsentation an der Winkelwiese – und sowas ist mir nie wieder passiert im Leben – von wildfremden Menschen angesprochen, in der Frauenbadi, irgendwo, was aus dem Stück geworden sei. «Das musst du unbedingt zeigen!»
Ich überlegte mir auch, daraus ein Hörspiel zu machen, weil ja alles im Dunkeln spielt. Aber der Hörspieldramaturg vom SRF schrieb mir damals: Das Stück sei zu konstruiert, die Figuren völlig unrealistisch, sowas gibt es nicht. Und man spüre, da sei null Bedürfnis von meiner Seite dahinter, das zu erzählen.
Ich habe eine böse Email zurückgeschrieben; aber das Stück habe ich danach weggelegt. Ich dachte, jetzt muss ich es lassen.
Woran liegt’s? War die Zeit noch nicht reif?
Am Symposium am Wochenende hab ich so oft von Frauen gehört, denen ganz offen gesagt wurde, sie müssen lächeln, humorvoll schreiben, positiv sein.
Es liegt sicher am Thema: Femizid. Daniela Janjic hat im DRAMENPROZESSOR ein Jahr später über den Bosnienkrieg geschrieben – auch brutal, aber weiter weg beziehungsweise weniger unter uns. Gewalt, Femizid, sexueller Missbrauch sind absolute Tabuthemen.
Gab es auch konstruktive Kritik?
Ich wurde gebeten, den Schluss zu ändern. Aber dadurch, dass beide Männer kriminell sind, decken sie sich gegenseitig und könnten immer so weiter machen. Und genau darum geht’s: Ich wollte zeigen, wie Gewalt entsteht und welche Mechanismen hinter ihr stecken. Wer war die Frau von Blunn, was war ihre Rolle, dass es zu dieser Gewalt kommen konnte? Blunn gegen Arn, das hat viel mit Eifersucht zu tun.
Und Arn hat keine anderen männlichen Vorbilder in dieser abgeschlossenen Welt. Er kennt keine normalen Beziehungen und kann deshalb auch keine normale Beziehungen zu Frauen aufbauen, weil es aus seiner Sicht immer ein Verrat an der Mutter ist. Und Letztere wurde vom Vater getötet, obwohl er sie liebte.
Heutzutage sieht man diese Zusammenhänge stärker: Wir wissen, dass es kein Zufall ist, dass so viele Frauen umgebracht werden. Sehr oft sind es Beziehungsdelikte, weil sich die Frau beispielsweise trennen will. Es ist diese wahnsinnige Angst der Männer, ihre Macht zu verlieren und ihre Unfähigkeit, mit Gefühlen – oft ist es Eifersucht – umzugehen, die in Gewalt münden; gegen Frauen und auch gegen Kinder.
Gegen alle, die schwächer sind…