Wir leben abgeschottet im Wohlstand sind aber täglich bzw.
stündlich konfrontiert mit neuen Krisen irgendwo auf der Welt - wie viel
Abschottung ist gesund und ab wann wird es egoistisch?
Genau dieses Paradox war es, welches uns für die Umsetzung der Antigone von Darja Stocker interessierte. In seinem Text «Zeitgenossenschaft und Wirklichkeit» schreibt Heinrich Böll, dass die fremden Wirklichkeiten nur scheinbar fremd sind und die fernen nur scheinbar fern. Es gäbe nichts, was uns nicht angeht, das heisst positiv: Alles geht uns etwas an. Eine junge Frau bricht in ein fernes Land auf, um ihren Bruder zu suchen, den sie am Ende beerdigen wird. Dafür kollektiviert sie ihr Geschlecht, ihre Herkunft. Durch die Erweiterung der Antigone auf verschiedene Klassen und Orte dieser Welt, ist es das «Prinzip Antigone», also der Widerstand und die Auflehnung gegen Ungerechtigkeit, welches verbindet und Antigone aus ihrem Einzelschicksal befreit
und solidarisiert. Wir sind mehrere. Abschottung kann keine Strategie
einer offenen Gesellschaft sein, in der so etwas wie Gemeinschaft
gefördert wird. Was wir aber brauchen ist der Respekt vor den Grenzen
der anderen, die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und ein neues Konzept von Bewegungsfreiheit, die
die migrantische Wirklichkeit ernst nimmt und bessere Lebensgrundlagen
schafft. Die Grenzen müssen dort gezogen werden, wo es um Selbstbestimmung und Freiheit geht und nicht dort, wo versucht wird, Privilegien zu schützen und Wohlstand zu bewahren.
Gibt es Solidarität ohne direkte Betroffenheit bzw. ohne Socialmediatrend?
Es geht nicht nur darum, Solidarität zu zeigen, sondern auch solidarisch zu handeln. Letztlich befragen wir mit Darja Stockers Text den Mythos Antigone, – was braucht es, um wirklich solidarisch zu sein? Ist es
wie Antigone, den Verzicht auf das eigene Erbe? Die
klassenübergreifende Solidarisierung? Sicherlich ist eine Verknüpfung
mit einem Gemeinsamen nötig, etwas, was die einzelnen Individuen
verbindet und aufzeigt, dass wir alle Kämpfe durchmachen. Nur müssen
eben die einen, die uns so selbstverständlichen Rechte erst einfordern.
Wir leben gerade in einer Zeit der Wachheit für Diskriminierung und Ungerechtigkeiten, die umstrittene Wokeness, gerade passiert so einiges in den Köpfen und im Handeln. Aber wie sieht die Solidarität in der Festung Europa mit denen, die an anderen Orten aufbegehren, tatsächlich aus? Gerade auch im Bezug auf die Proteste im Iran sehen wir, welche Rolle Socialmedia heutzutage im Kampf um Deutungshoheit spielt und welche Wichtigkeit solche Kanäle einnehmen können.
Brauchen wir eine Revolte bzw ist Revolte eine Lösung?
Es braucht sicherlich eine klare Auflehnung gegen Missstände, um
Unrechtes aufzuzeigen. Eine Revolte kann auch erstmal ein sich Emanzipieren von Bestehendem sein, von Zwängen und Dogmen. Aber auch hier wieder die Frage: Wem wird das Recht zugesprochen, sich zu empören und wem nicht? Wer hat die Möglichkeit, sich zu befreien? Wir
erachten das subversive Potential von Aufständen und Protesten als konstituierend für eine demokratische Gesellschaft.
Revolte ist immer eine Lösung, die Frage ist nur, was damit gelöst
wird und wie das zurück in gesellschaftliche Strukturen fliessen kann.
Gerade in Bezug auf Aufstände sehen wir, wie wichtig eine
Solidarisierung, Vernetzung und das Zusammenspiel von verschiedenen Kooperateuren sein kann, um bestehende Machtverhältnisse ins Wanken zu
bringen. Denn was ja die Hoffnung der Revolte sein könnte, ist
zumindest die Hoffnung auf einen Neubeginn.